Der Schreck ereilte mich auf dem Weg zum Zürcher Theaterspektakel: Ich erhielt eine Nachricht, dass mich die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) auf ihrer Facebook-Seite persönlich und öffentlich angreife. Am 26. August 2017 publizierte Der Bund ein Gespräch mit mir, in dem ich über mein Leben als atheistischer Blogger in Marokko, meine Flucht in die Schweiz und meine Erfahrungen unter Flüchtlingsaktivisten redete. Das Interview mit dem Titel «Viele Schweizer haben Angst, Kritik am Islam zu üben»verbreitete sich x-tausendfach im Internet. Umgehend setzte ein Proteststurm ein. Von links. Damit hatte ich nicht gerechnet, sind es doch üblicherweise Islamisten, die mich attackieren.
So stellte Fehr meine Integrität als atheistischer Intellektueller infrage, kettete mich an meine Herkunft als Muslim und verband dies noch mit einem wütenden Rundumschlag gegen Medienschaffende, als sie via Facebook schrieb: «Wieso überprüfen Journalistinnen und Journalisten die aufgestellten Behauptungen (zum Beispiel über das Verhalten der Autonomen Schule) nicht? Reicht es heute einfach, als Muslim gegen den Islam zu wettern, um als Experte zu gelten?»
Dabei handelt es sich durchaus nicht um eine Laune ihrerseits, hatte ich doch schon in meinem ersten Interviewsatz gesagt, ich sei Atheist. Vielmehr ist die Ethnisierung als «Muslim» den Multikulturalisten immanent. Ebenso ist diese Haltung aber auch Rechtspopulisten und Islamisten gemein.
Ein als Muslim geborener Mensch bleibt für sie immer ein Muslim, auch wenn er sich zum Atheisten entwickelt. Diese Denkform negiert die Möglichkeit der gesellschaftlichen und individuellen Emanzipation. Problematisch ist es freilich, wenn sich eine Justizdirektorin so äussert, denn in einem Rechtsstaat wie der Schweiz ist es erlaubt, die Religion abzulegen, im Gegensatz etwa zu islamischen Staaten.
Auch Fehrs Ressentiments, wonach es reiche, als Muslim gegen den Islam zu wettern, um als Experte zu gelten, ist ein Vorwurf, den üblicherweise Islamisten gegen säkulare Muslime verwenden. Religionskritik als «wettern» zu bezeichnen, ist schlicht unsachlich.
Die Regierungsrätin gibt den Medien viele Interviews, aber sie scheint von ihrer Medienabteilung nicht dahingehend geschult worden zu sein, dass ein Interview kein Bericht ist, bei dem die Gegenseite angehört werden muss. Auch hier zeigen sich Parallelen zu den Erlebnissen von Atheisten in Flüchtlingsheimen, deren Integrität angezweifelt wird, wenn sie von den Schikanen durch radikale Muslime berichten. Zu schlechter Letzt nutzt die SP-Politikerin die populistische Rhetorik gegen die Medien, indem sie insinuiert, diese würden Lügen verbreiten.
Die Frage sei erlaubt: Hätte Fehr auf die gleiche Weise reagiert, wenn das Interview mit jemandem geführt worden wäre, der über seine Erlebnisse mit Rassismus und Diskriminierung in der Schweiz berichtete? Das darf bezweifelt werden. Denn das Narrativ des verfolgten Einwanderers fordert ihre Weltanschauung nicht heraus, im Gegenteil, es bestätigt ihren ideologischen Glauben. Immigranten und Flüchtlinge sollen keine kritische Meinung über den Islam oder die Linke haben, und wenn das doch der Fall ist, dann haben sie keine Glaubwürdigkeit.
Die angestossene Debatte nahmen mehrere Medien auf, einige luden Fehr und mich zu einem Streitgespräch ein. So auch die Wochenzeitung WOZ. Ich sagte umgehend zu. Fehr sagte ab. Überrascht nahm ich zur Kenntnis, dass die WOZ schliesslich nur ein Interview mit Fehr veröffentlicht – notabene, ohne mir Gelegenheit zu geben, mich dazu zu äussern. Schlimmer noch, es wurden frühere Zitate von mir unvollständig und aus dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben – allein zum Zweck, mich «anzubräunen».
Im Interview gibt die Zürcher Justizdirektorin denn auch unwidersprochen ihr befremdliches Verständnis von Rechtsstaat preis, indem sie sagt: «Unsere Leitkultur ist der Rechtsstaat.» Aber ein Rechtsstaat ist das Gegenteil von Kultur. Der Rechtsstaat ist nicht eine Kultur unter vielen anderen gleichwertigen Kulturen, sondern die Errungenschaft der Moderne und der Aufklärung. Daher ist Religionskritik und vor allem die Kritik am Islam auch durch den Rechtsstaat gedeckt.
Ebenso befremdend ist die Aussage der Justizdirektorin, dass für sie der politische Islam dasselbe Problem sei wie der politische Evangelikalismus. Damit relativiert und verharmlost sie die Gefahr durch den Islamismus. Das schriftliche Lob von Sympathisanten des Salafistischen Islamischen Zentralrats der Schweiz auf ihrer Facebook-Seite zum Interview hatte sie sich denn auch redlich verdient.
Fehr, so gesteht sie, reagiere eben gereizt auf Besserwissereien von Leuten aus bequemen Positionen, die sich nicht an der Realität reiben müssen, wie sie das tue, und ihr Naivität vorwerfen.
Diese Aussage finde ich besonders anmassend und arrogant – sie ist ein Tritt von oben herab. Denn es ist eine Umkehrung der sozialen Realität, wenn eine Regierungsrätin des Kantons Zürich mit einem Salär von mehr als 300’000 Franken pro Jahr das zu einem Flüchtling sagt, der ich – vom Aufenthaltsstatus betrachtet – weiterhin bin.
Daher meine Fragen an Jacqueline Fehr: Nach meiner Stufe in der Leiter des Klassenkampfs zu urteilen, glauben Sie wirklich, dass ich in einer bequemen Position bin? Glauben Sie, dass das Verlassen der Religion, in der ich geboren wurde, bequem war? In den Augen vieler Muslime wäre meine verdiente Strafe der Tod. Glauben Sie, dass die Flucht aus meinem Land und die Todesdrohungen eine «bequeme Position» und meine Arbeit für die Menschenrechte und die Rechte derer, die ihre Stimmen nicht laut erheben können, mit «Gegen den Islam wettern» fair umschrieben ist?
Frau Fehr, ich bin sicher, es wäre ein würdiges Gespräch mit Ihnen gewesen. Ich bin immer noch offen für eine Debatte. Gerne erinnere ich Sie daran, dass der Disput wichtig ist für den Rechtsstaat, wichtig für die Demokratie.
Dieser Text ist am 19.08.2017 in der BaZ erschienen.