Hat der Islam ein Gewaltproblem?
Nach den Terroranschlägen im Namen Allahs in Brüssel und in Paris wird in Europa vermehrt wieder über die Frage debattiert, ob der Islam, wie oft gehört, eine Religion des Friedens sei. In der Sendung «Arena» vom 1. April etwa wurde darüber räsoniert, ob der Islam ein Gewaltproblem habe. Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es einer Klärung, was unter einem friedlichen Muslimen überhaupt zu verstehen ist: Genügt es etwa, wenn sich ein Muslim zwar vom Islamischen Staat distanziert, zugleich aber die universellen Menschenrechte wie etwa Glaubens- und Meinungsfreiheit ablehnt, um als friedlich zu gelten?
Anders als teilweise in der «Arena» geschehen, soll die Frage in diesem Artikel nicht von einem theologischen Standpunkt aus erörtert werden. Ein solcher Ansatz ist unergiebig, finden sich doch im Koran und in den Hadithen sowohl friedliche als auch zu Gewalt aufrufende Verse. Stattdessen sollen hier die Verhältnisse in den Ländern analysiert werden, in denen Muslime die Mehrheit bilden. Herrscht in den Stammlanden des Islam Toleranz und gesellschaftlicher Frieden?
Islam als Staatsreligion
Mitnichten! Heute werden in den meisten islamischen Ländern Atheisten, Apostaten und solche, die zu einer anderen Religion konvertieren wollen, verfolgt. Gemäss der NGO Internationale Humanistische und Ethische Union gibt es 13 Länder, in denen auf Apostasie die Todesstrafe steht. Das, was diese Länder trotz ihrer Unterschiede alle gemeinsam haben, ist der Islam als Staatsreligion. Von einer Religion des Friedens sollte man doch eigentlich erwarten können, dass sie die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Einzelnen hochhält.
Nun könnte man, wenn man es nicht besser wüsste, behaupten, dass dies nur die Gesetze des jeweiligen Staates seien, die nicht den tatsächlichen Willen der Muslime selbst reflektieren. Doch leider sprechen die Fakten eine andere Sprache. Nicht selten formieren sich in manchen dieser Länder Muslime zu einem wütenden Mob, der durch die Strassen zieht, um in Selbstjustiz jene zu bestrafen, die sie als Apostaten betrachten. In Mauretanien zum Beispiel forderte 2015 nach den Freitagsgebeten eine Gruppe wütender Demonstranten, dass die Todesstrafe für den Blogger Mohamed Ould Cheikh Abdallahi sofort vollzogen werden soll. Sein Vergehen? Er hatte es gewagt, in einem Artikel die Sklaverei in Mauretanien zu kritisieren, und – horribile dictu – seine Kritik damit zu begründen, dass der Prophet und die traditionelle Auslegung des Islam die Sklaverei legitimieren.
Oder in Bangladesch 2013, als sich die Strassen der Hauptstadt Dhaka mit einem Mob füllten, der gegen Atheisten demonstrierte. Seither gab es mehrere solcher Aufmärsche, bei denen bis jetzt vier Blogger kaltblütig vom Mob ermordet wurden. Die Blogger hatten die Forderung erhoben, dass wissenschaftliche Fakten über religiösen Lehren stehen sollten.
Nach einer Umfrage des Pew-Forums im Jahr 2013 votierte eine Mehrheit der Muslime weltweit für die Einführung des islamischen Rechts, der Scharia, in ihren jeweiligen Ländern: von 84 Prozent der Muslime in Pakistan über 83 Prozent in Marokko bis 74 Prozent in Ägypten. Die Umfrage förderte ebenfalls zutage, dass 84 Prozent der befragten Palästinenser und 81 Prozent der befragten Ägypter für Ehebruch die Todesstrafe durch Steinigung fordern, während «nur» 44 Prozent der befragten Tunesier sie für angemessen halten. Die Todesstrafe für Apostaten unterstützt in Ägypten eine satte Mehrheit von 86 Prozent, in Tunesien eine beträchtliche Minderheit von immer noch 29 Prozent.
Solche Statistiken sprechen eine deutliche Sprache über den Islam und muslimische Gesellschaften. Diese intoleranten und gewalttätigen Verhältnisse, die man im Westen zu Recht als mittelalterlich denunziert, sind der Stoff, aus dem der Islamische Staat gemacht ist. Der islamische Extremismus und der Terrorismus können nicht effektiv bekämpft werden, ohne innerhalb der islamischen Gesellschaften dringend darüber zu diskutieren, dass es im Islam einer Kultur der Toleranz gegenüber Anders- und Nichtgläubigen bedarf.
Vom Terror distanziert
Hat der Islam also ein Gewaltproblem? Jedenfalls macht man es sich zu einfach, wenn man behauptet, der Islam sei eine Religion des Friedens, indem man auf die Gläubigen verweist, die sich zwar wohlfeil vom Terror distanzieren, zugleich aber die Todesstrafe und barbarische Körperstrafen wie etwa öffentliche Auspeitschungen für legitim halten.
Der islamische Terror in Europa ist, mit anderen Worten, ein Abbild der gegenwärtigen Misere in vielen Teilen der islamischen Welt. So lange, wie wir auf diese riesige Herausforderung keine adäquate Antwort finden, müssen wir die Dinge beim Namen nennen. Ohne Angst davor, von Fundamentalisten, auch in der Schweiz, als sogenannt «islamophob» bezeichnet zu werden. Der Islam heute, oder wie er sich heutzutage zumindest in den meisten islamischen Ländern präsentiert, ist keine Religion des Friedens.
-Basler Zeitung Mittwoch 6, April 2016 | Seite 13