Dieser Artikel ist zuerst in der NZZ erschienen

Es war eine ungewöhnliche Koalition, die sich am 7. August bei Starkregen vor dem Schloss Christiansborg in Kopenhagen versammelte: Linke, Liberale, Konservative. Auf den durchnässten Schildern, die die vorwiegend jungen Menschen hochhielten, standen Parolen wie: «Keine freie Gesellschaft ohne Meinungsfreiheit», «Du hast das Recht, ein Arschloch zu sein», oder: «Gesucht: Meinungsfreiheit in Iran».

An jenem Samstag wollte ich von Kopenhagen nach Zürich fliegen. In der Vorwoche hatte ich in der dänischen Hauptstadt am World Humanist Congress teilgenommen. Gerade als ich meinen Koffer packte, informierte mich Niels Ivar Larsen, ein befreundeter Journalist der linken Zeitung «Dagbladet Information», über eine Demonstration gegen den Gesetzentwurf der dänischen Regierung, der das Verbrennen des Korans unter Strafe stellen will.

Angst vor islamistischem Terror

Die Zeit drängte, meinen Flug zu erreichen. Aber die Tatsache, dass dieser Protest von jungen Politikern mit unterschiedlichsten Ansichten organisiert wurde, weckte mein Interesse. Hier schien sich eine Art linker Politik zu artikulieren, mit der ich mich wieder identifizieren konnte – sie erinnerte mich an meine Genossen in Marokko.
Mit meinem Rollkoffer kam ich gerade noch rechtzeitig zum Protest. «Hast du Korane dabei?», fragte mich einer der Organisatoren und deutete auf meinen Koffer. Er betonte, dass man zwar das Recht verteidige, religiöse Schriften zu verbrennen, dies aber während der Demonstration nicht befürworte.

Doch diese Demonstration markierte nur den Auftakt für einen Kampf um bürgerliche Freiheiten, der lang werden dürfte. Denn rund zwei Wochen nach der Kundgebung kündigte die dänische Regierung an, die «unangemessene Behandlung von Gegenständen mit religiöser Bedeutung» unter Strafe stellen zu wollen – und sprach von einem «wichtigen politischen Signal» an die Welt. Tatsächlich steht Dänemark zusammen mit Schweden unter internationalem Druck, weil irakische und iranische Dissidenten und rechtsextreme Aktivisten öffentlich Korane verbrannt oder auf andere Weise geschändet haben.

Autoritäre islamische Regime haben Vorfälle genutzt, um Spannungen zu schüren und Druck auf die Regierungen der betroffenen Länder auszuüben (im Fall Schweden missbraucht die Türkei die Bücherverbrennungen, um den Preis für den Nato-Beitritt des Landes hochzutreiben).

Das Gesetz der dänischen Regierung soll nach den Herbstferien im Parlament debattiert werden. Es würde die öffentliche Schändung religiöser Schriften und Symbole analog zur Entweihung von Flaggen mit Geldstrafen oder mit Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren ahnden. Die Behörden berufen sich unter anderem auf Sicherheitsbedenken – und erklärten, die jüngsten Aktionen hätten Hass geschürt und die Gefahr von Terroranschlägen erhöht.

Mit der Gemüsereibe gegen die iranischen Mullahs

Bücherverbrennungen verstören viele, die das geschriebene Wort lieben. Derartige Taten sind vom Wunsch getrieben, die Botschaft eines Buches auszulöschen. Historisch standen die Bücher freidenkender Menschen selbst häufig in Flammen, und oft wurden auch diese Denker verfolgt. Wie Heinrich Heine feststellte: «Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.»

Bei genauerem Hinsehen ist das Verbrennen des Korans jedoch nicht in jedem Fall mit dem Verbrennen von Büchern durch die Kirche oder die Nazis zu vergleichen. Sicher, den Rechtsextremen geht es auch heute darum, Muslime zu provozieren und zu demütigen. Dissidenten, die aus islamischen Ländern geflohen sind, geht es um etwas anderes.

Ihnen geht es nicht um das Buch als solches, sondern um seine Heiligkeit und die politische Macht, die es repräsentiert. Dieser Akt kommt dem Verbrennen eines politischen Manifests näher. Wer den Koran verbrennt, drückt damit aus, dass dieses Buch für ihn weder Autorität noch Heiligkeit besitzt. Er will den Koran weder zensieren noch verbieten, sondern einen Protest gegen den Heiligkeitsanspruch deklarieren.

Die in Iran geborene Künstlerin Firoozeh Bazrafkan etwa hat kürzlich vor der iranischen Botschaft in Kopenhagen eine Kopie des Korans geschreddert – mit einer Gemüsereibe. Bazrafkan, die in der Vergangenheit bereits ähnliche Aktionen durchgeführt hat, erklärte, dass sie mit dieser Zerstörung des Korans die Verlogenheit des iranischen Regimes anprangern wolle: Dieses Regime fordere zwar Respekt für das heilige Buch, zeige aber selbst keinerlei Respekt für die Rechte der Frauen.

Vereinte Nationen für Zensur

Blasphemie war in Dänemark bis 2017 strafbar – und ironischerweise geht der Gesetzesentwurf der dänischen Regierung über das alte, vor wenigen Jahren abgeschaffte Gesetz hinaus. Dass die Regierung auch die Verbrennung der Thora und der Bibel unter Strafe stellen will, ist konsequent. Nur kann dieser Umstand die Tatsache nicht verschleiern, dass es letztlich um Feigheit geht. Denn die dänische Regierung hätte die Wiedereinführung von Blasphemiegesetzen kaum in Erwägung gezogen, wenn sie nicht von der islamischen Welt bedroht worden wäre.

Für islamische Länder, die jeden demokratischen Dissens zum Schweigen bringen, sind die Koranverbrennungen eine willkommene Ablenkung von internen Problemen. Sie mobilisieren ihre Geistlichen und versuchen, den Frust der eigenen Bürger Richtung Dänemark und Schweden zu lenken.

Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit etwa, der 56 Länder angehören, lobbyiert schon lange gegen die Redefreiheit. Deutlich zu sehen ist das bei den Vereinten Nationen. Im Juli verabschiedete der Uno-Menschenrechtsrat eine Resolution, die von Pakistan und Palästina eingebracht wurde. Sie setzt die Entweihung religiöser Texte und Symbole mit religiösem Hass gleich.

Vor der Abstimmung kritisierte ich in einer Rede vor dem Rat den Umstand, dass Gesetze, die Blasphemie ahnden, zu Zensur führen und häufig gegen religiöse Minderheiten gerichtet sind. So werden Blasphemiegesetze in Ländern wie Pakistan dazu missbraucht, Christen anzuklagen und zu töten. 28 Länder stimmten am Ende dafür, 12 dagegen, und 7 enthielten sich.

Salman Rushdie wird geachtet – aber nicht gehört

Die Meinungs- und Äusserungsfreiheit hat keinen Sinn, ausser sie garantiert bedingungslos die Kritik an der Religion. Diejenigen, die behaupten, sie unterstützten die Redefreiheit unter der Bedingung, «religiöse Heiligtümer nicht zu beleidigen», lassen von der Redefreiheit eigentlich nichts übrig.

Es gibt guten Grund, die von Rassisten inszenierten Koranverbrennungen zu verurteilen, und es ist verständlich, wenn sich Muslime durch solche Akte ins Visier genommen fühlen. Aber sie müssen die Redefreiheit und das Demonstrationsrecht respektieren, auch die Rede, die ihnen nicht gefällt. Als demokratische Bürger westlicher Länder müssen sie das Gewaltmonopol des Staates respektieren.

Salman Rushdie drückte es einst so aus: «Was ist Redefreiheit? Ohne die Freiheit, zu beleidigen, hört sie auf zu existieren.» Rushdie selbst erinnert uns an die lange Geschichte dieses Konflikts zwischen Freiheit und Theokratie. Wurde er vor vier Jahrzehnten noch vom Vatikan und von Politikern wie Hartley Shawcross (Labour) für seinen Roman «The Satanic Verses» verurteilt, so ist er heute ein gefeierter Vorkämpfer der Redefreiheit.

«Pragmatische Diplomatie» ist Kapitulation

Die dänische Zeitung «Information» hat kürzlich die Möglichkeiten aufgezählt, wie das geplante Gesetz der Regierung in die Kunst- und die Redefreiheit eingreifen könnte. Denn verbale, schriftliche und zeichnerische Äusserungen sollen ungestraft bleiben – aber wie steht es mit Filmen und Kunstaktionen? Müsste man nicht auch Andres Serranos «Piss Christ» verbieten? Oder Madonnas Musikvideo «Like a Prayer», in dem brennende Kruzifixe und erotische Tänze mit Kruzifixen zu sehen sind? Noch gefährdeter wären Filme wie «Life of Brian» oder «Der Exorzist», schliesslich wird dort ein Kruzifix als Sexspielzeug missbraucht.

Im Gegensatz zu den Jungparteien sind dänische Politiker von links bis rechts bereit, die Prinzipien der liberalen Demokratie aufzugeben, im Namen einer «pragmatischen Diplomatie». Sie schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall für die Einschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit. Die Lösung liegt jedoch nicht in pragmatischer Kapitulation, sondern in prinzipientreuer Widerstandsfähigkeit.

Auf dem Weg zum Flughafen beschäftigte mich eine Frage: Werden die muslimischen Staaten und Mitglieder der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, die den Westen mobben und bedrohen, mit den angedachten Strafen zufrieden sein? Wer die Beleidigung des Korans als Sünde betrachtet, die mit dem Tod bestraft werden muss, wird sich kaum mit Gesetzen zufriedengeben, die Geld- und milde Gefängnisstrafen vorsehen.

Die dänischen Jungparteien protestieren jedenfalls weiterhin gegen den Gesetzesentwurf der Regierung. Zudem haben über 500 dänische Intellektuelle, Kulturschaffende und Journalisten eine Petition unterzeichnet, welche das Gesetz als «Angriff auf Kunst, politische Meinungsäusserung und Pressefreiheit» kritisiert.

Der Journalist Niels Ivar Larsen hat die Situation treffend beschrieben: «Wir stehen vor einer Krise, die in ihren Konsequenzen bedrohlicher ist als die Folgen der Mohammed-Karikaturen im Jahr 2005.»

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